10 Jahre der Östlichen Partnerschaft: Interview mit Dirk Wiese

Dirk Wiese, der Koordinator der Bundesregierung für Russland, Zentralasien und die Länder der Östlichen Partnerschaft

Fast genau zehn Jahre nach Gründung der Östlichen Partnerschaft besuchte Dirk Wiese, der Koordinator der Bundesregierung für Russland, Zentralasien und die Länder der Östlichen Partnerschaft,  vom 13. bis 15. Mai 2019 Georgien. Dort nahm er an einer hochrangig besetzten Paneldiskussion auf dem South Caucasus Security Forum teil, einer der wichtigsten außen- und sicherheitspolitischen Konferenzen in der strategischen Schlüsselregion Südkaukasus. Im Gespräch mit „Caucasus Watch“ sprach Dirk Wiese ausführlich über die Eindrücke von seinem Besuch in Georgien sowie über die aktuelle Situation und Perspektiven der Östlichen Partnerschaft im Südkaukasus im Allgemeinen. 

Gibt es Ideen für neue Initiativen bezüglich Georgiens EU und NATO Integration, welche Sie im Rahmen Ihres Besuches mit georgischen Offiziellen besprochen haben?

Die euro-atlantische Ausrichtung und Ambition Georgiens haben alle meine Gesprächspartner deutlich gemacht. Zugleich haben sie Verständnis dafür geäußert, dass es eine konkrete Beitrittsperspektive zu NATO oder EU für Georgien derzeit nicht gibt. Von den sechs Ländern der Östlichen Partnerschaft hat Georgien unter erschwerten Bedingungen großartige Fortschritte gemacht. Alle Beteiligten sollten ihre Kräfte jetzt darauf konzentrieren, für die Menschen in Georgien spürbare Verbesserungen zu erreichen und das ambitionierte Assoziierungsabkommen mit der EU mit Leben zu füllen. Georgiens Zusammenarbeit funktioniert auch mit der NATO sehr gut. Erst Ende März haben NATO-Soldaten – unter ihnen auch Angehörige der Bundeswehr – und georgische Soldaten nahe Tiflis an einer gemeinsamen Übung teilgenommen. Die Bundesregierung unterstützt die Umsetzung des sogenannten „Substantiellen NATO-Georgien-Pakets“ sowohl personell als auch finanziell. An den wichtigen Beitrag Georgiens zur NATO-Operation „Resolute Support“ in Afghanistan sei zudem erinnert.    

Haben Sie in Georgien auch über die Probleme des visafreien Reisens gesprochen? Wir haben vor einigen Tagen darüber berichtet, dass die Probleme des Visaabkommens eines der Hauptthemen beim Besuch des französischen Innenministers in Georgien waren.

Die Möglichkeit zum visafreien Reisen von Georgiern in den Schengenraum ist ein wichtiger Erfolg für das Land mit Signalwirkung. Gerade für junge Menschen ist es wichtig, dass sie einander leicht begegnen können, sich kennen lernen, miteinander ins Gespräch kommen. So bauen sie Brücken zwischen Ländern. Zwischen Berlin und Tiflis entstehen nach meiner Beobachtung gerade immer mehr solcher Brücken – auch dank Visaliberalisierung. Dass ein Verzicht auf eine Visumspflicht auch Herausforderungen mit sich bringen kann, ist nicht überraschend. Deutsche und georgische Behörden arbeiten gut zusammen, um illegaler Migration entgegenzuwirken. Das habe ich gegenüber meinen georgischen Gesprächspartnern auch gewürdigt – und darauf hingewiesen, dass es wichtig ist, dass die georgischen Behörden weiterhin alles dafür tun, damit die Voraussetzungen für die Visaliberalisierung auch in Zukunft dauerhaft erfüllt bleiben.   

Inwieweit gibt es ähnliche Probleme in Deutschland?

Die Herausforderungen, die die Visaliberalisierung mit Georgien mit sich gebracht hat, scheinen beherrschbar. Nach einem vorübergehenden deutlichen Anstieg der Zahl der Asyl-Erstanträge von Georgiern in Deutschland zu Beginn des vergangenen Jahres lag diese Zahl im April 2019 allerdings immer noch bei 253. Insgesamt haben in den ersten vier Monaten ca. 1.400 Georgierinnen und Georgier in Deutschland Asyl beantragt. Für ein kleines Land wie Georgien ist das sehr viel. Gleichzeitig wird sehr wenigen georgischen Antragstellern – nämlich weniger als zwei Prozent – in Deutschland Schutz gewährt. Das liegt insbesondere daran, dass der Schutz der elementaren Menschenrechte in Georgien aus Sicht der Bundesregierung gewährleistet ist – weswegen sie auch anstrebt, Georgien als sicheres Herkunftsland einzustufen. Deutsche und georgische Behörden arbeiten heute gut zusammen, wenn georgische Staatsbürger, die in Deutschland ausreisepflichtig sind, in ihre Heimat zurückkehren müssen.

Der EU Botschafter Carl Hartzell hat sich vor einigen Tagen kritisch zu der Vorbildfunktion von hohen georgischen Politikern in Bezug auf das Abfallproblem in dem Land geäußert. Wie schätzen Sie das Umweltbewusstsein in Georgien allgemein ein?

Dazu möchte ich mir nach meinem ersten kurzen Besuch in Georgien wirklich kein Urteil erlauben. Umweltschutz sollte jedenfalls auch in Georgien, wie überall auf der Welt, ein wichtiges Thema sein. Ich habe registriert, dass Georgien zum 1. April 2019 den Import, die Herstellung und die Nutzung von Plastiktüten verboten hat – wenn das funktioniert, kann es Vorbildcharakter haben.

SIPRI berichtete vor Kurzem, dass die Militärausgaben in den Kaukasusstaaten angestiegen sind. Haben Sie auf dem South Caucasus Security Forum neue Eindrücke über die sicherheitspolitischen Sorgen georgischer Offizieller bekommen?

Für meine Gesprächspartner aus der georgischen Politik ist die territoriale Integrität ihres Landes verständlicherweise ein zentrales Anliegen. Deutschland steht – wie fast alle Staaten der Welt – ganz klar hinter der territorialen Integrität Georgiens. Die zivile, unbewaffnete EU-Beobachtungsmission EUMM leistet hervorragende Arbeit, um die Situation entlang der Verwaltungslinien zu den abtrünnigen Gebieten so gut wie möglich zu stabilisieren. Allerdings beklagen georgische Politiker einen Ausbau der militärischen Präsenz Russlands in Abchasien und Südossetien – bei gleichzeitigem Bevölkerungsrückgang in beiden Gebiete. Zu Recht prangern die georgischen Politiker Menschenrechtsverletzungen in Abchasien und Südossetien an.

Die georgische Regierung hat im April 2018 die Initiative „A Step towards a better future“ gestartet. Sie zielt darauf ab, etwa durch Handelserleichterungen das Leben der Menschen in Abchasien und Südossetien konkret im Alltag zu verbessern und so auch Brücken zwischen Menschen zu bauen. Das begrüßt die Bundesregierung natürlich. Das Auswärtige Amt unterstützt zudem ein erfolgreiches Dialogprojekt der Berghof Foundation.      

In Bezug auf die wirtschaftliche Liberalisierung und Modernisierung gilt Georgien sozusagen als „Wunderkind“ der Östlichen Partnerschaft und hat sich erst kürzlich ein neues Darlehenspaket vom IWF sichern können. Können Sie unserer Leserschaft erläutern, in welcher Funktion die Bundesrepublik wirtschaftliche Unterstützung für Georgien leistet?

Zunächst einmal pflegen Deutsche und Georgier ganz normale wirtschaftliche Beziehungen miteinander. Sie exportieren und importieren in das jeweilige Partnerland. Im Jahr 2017 etwa haben deutsche Unternehmen Exporte im Wert von 344 Millionen Euro nach Georgien geschickt. Umgekehrt haben georgische Unternehmen im Wert von gut 75 Millionen Euro nach Deutschland exportiert. Über diese Wirtschaftsbeziehung hinaus unterstützt Deutschland Georgien auf dem Weg der Entwicklungszusammenarbeit, und zwar seit 1992 mit mehr als einer Milliarde Euro.

Nach den USA ist Deutschland Georgiens zweitgrößter Partner in der Entwicklungszusammenarbeit. Hinzu kommt technische Zusammenarbeit im Rahmen der Südkaukasusinitiative der Bundesregierung, wobei Schwerpunkte zum Beispiel die Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung, Umwelt und Energie und Kommunalentwicklung sind. In diesem Rahmen gibt es etwa auch ein Programm zur Privatwirtschaftsentwicklung und Berufsbildung.

Wie verlief Ihr Gespräch mit der Studentengruppe an der Ilia State University und an welchen Themen waren die Studenten besonders interessiert?

Treffen mit jüngeren Menschen sind mir besonders wichtig, und auch dieser Austausch war besonders interessant. An der Ilia State University wirkt übrigens ein Deutscher, Oliver Reisner, als Jean-Monnet-Professor für Kaukasische und Europäische Studien. Er hat diesen Austausch mit Studierenden mitorganisiert und leistet mit seiner Arbeit völkerverbindende Arbeit im besten Sinne. Eines der Themen, das meine Gesprächspartner in dieser Runde besonders interessiert hat, waren natürlich die Möglichkeiten, die das visafreie Reisen in den Schengenraum für Georgierinnen und Georgier bietet.

Mit welchen zivilgesellschaftlichen Akteuren waren Sie außerdem im Kontakt und was waren Ihre Eindrücke?

Ich habe Akteure getroffen, die sich auf den Feldern Demokratie und Wahlen, Arbeitsrecht, Justizreform sowie LGBTI-Rechte zivilgesellschaftlich engagieren. Natürlich gibt es in jedem einzelnen dieser Gebiete noch etwas zu tun oder zu verbessern, wie in sehr vielen Ländern dieser Erde. Alle Akteure teilen jedoch die Einschätzung, dass Georgien schon sehr weit gekommen ist, vor allem auch dank der Zusammenarbeit mit der EU im Rahmen der Östlichen Partnerschaft. 

Welche Errungenschaft würden Sie besonders hervorheben in der zehnjährigen Geschichte der Östlichen Partnerschaft?

Die Östliche Partnerschaft ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Hervorheben möchte ich zuallererst, dass sie für Millionen von Menschen in den sechs Partnerländern spürbare Verbesserungen ihres Alltagslebens gebracht hat. Dank des Programms „Erasmus Plus“ etwa konnten 17.000 jüngere Menschen an universitären Austauschprogrammen teilnehmen und 30.000 an Jugendaustauschen. Wenn man es politisch betrachtet, ermöglicht die Östliche Partnerschaft heute Inklusivität dank Differenzierung. Sie bietet für die spezifische Situation jedes einzelnen der sechs Teilnehmerländer maßgefertigte Kooperationsmöglichkeiten. Das macht ihre Stärke aus und ist eine besondere Errungenschaft dieses Ansatzes.

Wie steht es um die anderen beiden Kaukasusstaaten – Armenien und Aserbaidschan – und welche Rolle spielt dabei der Konflikt um Bergkarabach ?

Armenien ist ein gutes Beispiel, um die ÖP-Philosophie „Inklusivität durch Differenzierung“ zu illustrieren. Die EU und Armenien haben 2017 miteinander CEPA abgeschlossen, das ehrgeizige Comprehensive and Enhanced Partnership Agreement. Schon seit 2015 ist Armenien Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion. Das belegt, dass die Östliche Partnerschaft tatsächlich maßgefertigte Angebote für jedes Partnerland bietet. Die sogenannte Samtene Revolution war nach innen gerichtet, in der Außenpolitik hält die neue Regierung daran fest, sowohl zur EU als auch zu Russland gute Beziehungen zu unterhalten, worauf CEPA auch zugeschnitten ist.

Mit Aserbaidschan verhandelt die EU derzeit ein neues Abkommen, das wesentlich zur Intensivierung der Beziehungen beitragen wird. Aserbaidschan verfolgt eine multivektorielle Außenpolitik und strebt keine engere Integration in die EU an. Entsprechend wird auch in diesem Fall das Abkommen diese Vorstellungen berücksichtigen (der Verhandlungsprozess über das Abkommen über die strategische Partnerschaft zwischen der EU und Aserbaidschan soll noch in diesem Jahr abgeschlossen werden – Anm. d. Red.).

Die Östliche Partnerschaft zielt jedoch nicht nur auf die Verbesserung der Beziehungen zwischen den einzelnen Staaten und der EU ab, sondern soll auch die regionale Zusammenarbeit unter den Partnern selbst verbessern. Insofern stellt der Bergkarabach-Konflikt eine Hürde für die Zusammenarbeit im Südkaukasus dar. Die EU unterstützt die Bemühungen der OSZE-Minsk-Gruppe um Konfliktbeilegung.

Was ist der nächste große Meilenstein den Sie für die Partnerschaft sehen? Besonders im Hinblick auf die nächsten 10 Jahre.

Die Östliche Partnerschaft ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Ihr Erfolgsrezept wird auch in den nächsten Jahren die Zusammenarbeit im Rahmen der vier bekannten Plattformen bleiben: 1. Wirtschaftliche Entwicklung und Marktchancen, 2. starke Institutionen und Good Governance, 3. Konnektivität, Energieeffizienz, Umweltschutz und Kampf gegen die Klimaaufheizung, und 4. Mobilität von Menschen und Völkerverständigung. Wichtig ist und bleibt, dass Menschen spürbare Verbesserungen in ihrem alltäglichen Leben dank der ÖP-Kooperation erleben. Mir erscheinen dafür die Bereiche Jugend und Bildung sowie unternehmerische Initiative durch kleine und mittelgroße Firmen besonders vielversprechend.

Können Sie für unsere Leser die 20 Ziele für 2020 zusammenfassen?

Die 20 Ziele für 2020 sollen spürbare Verbesserungen im Alltagsleben der Bürgerinnen und Bürger der ÖP-Länder zeitigen. Die vier Plattformen der Zusammenarbeit habe ich eben schon benannt. Dem übergeordnet sind drei Querschnittsaufgaben, die bei jedem einzelnen Ziel immer mitgedacht werden sollen: 1. Engere Einbindung von zivilgesellschaftlichen Organisationen, 2. die Gleichstellung von Frau und Mann vervollkommnen und Diskriminierungen bekämpfen, und 3. effektiver strategisch kommunizieren, die Unabhängigkeit von Medien stärken und plurale Medienlandschaften fördern.

Dr. Jacopo Pepe: “EU interessiert an Transportkorridoren im Südkaukasus und Zentralasien”

Welche Rolle spielt der Südkaukasus in der  europäischen Verkehrs- und Infrastrukturstrategie in Eurasien?

Die Europäische Union hat keine „Eurasien-Strategie“ als solche, welche der chinesischen One-Belt-One-Road oder der Strategie der Eurasischen Wirtschaftsunion in ihrer klaren geopolitischen und geoökonomischen Ausrichtung ähneln würde. Die Europäische Union verfügt über mehrere regionale Instrumente, wie die neue Strategie für Zentralasien oder die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP), welche den Südkaukasus einschließt. Darüber hinaus ist hier auch der südliche Gaskorridor zu erwähnen sowie die Tatsache, dass die Europäische Union seit Januar 2014 eine neue Verkehrspolitik verfolgt, deren Grundlage das Transeuropäische Verkehrsnetz (TEN-T) ist. Die neue EU Verkehrspolitik heißt „From West to East in half an hour“.

Inzwischen sollten wir zugeben, dass es immer noch keine klare Unterscheidung zwischen geoökonomischen, geopolitischen und entwicklungspolitischen Zielen gibt, so wie kein umfassendes strategisches Konzept, das diese Elemente verbindet. Die kürzlich veröffentlichte Connectivity-Strategie war der erste Schritt in die richtige Richtung. Dies ist jedoch nur ein technisches Dokument ohne politische Komponente und ohne klare Vorstellung davon, wie die EU mit der One-Belt-One-Road-Initiative und der Eurasischen Wirtschaftsunion zusammenarbeiten wird oder wie sich Zentralasien und der Kaukasus in diese Wechselwirkungen einfügen lassen.

Die Konnektivitätsstrategie spiegelt jedoch das Interesse der EU im Südkaukasus wider. Es ist klar, dass der Kaukasus für die Europäische Union keine Peripherie oder potenzielle Brücke nach Zentralasien mehr ist, sondern eine Region, in der die Interaktion und der Wettbewerb mit russischen und chinesischen Infrastrukturprojekten zunimmt. Daher plant die EU, ihr TEN-T-Netzwerk auf Mitglieder der ENP auszuweiten, insbesondere Georgien und Aserbaidschan. Die Europäische Union hat kürzlich sechs Abkommen unterzeichnet und mit der Finanzierung der Renovierung eines Teils der Ost-West-Autobahn in Georgien begonnen, die vom Baku-Hafen in Alat bis zum georgischen Poti führt. Chinesische und japanische Finanzinstitute sind ebenfalls an der Finanzierung dieses Projekts beteiligt. Aserbaidschan ist zweifellos ein wichtiges Bindeglied in dem entstehenden zentralen intermodalen Korridor, der das Kaspische Meer und das Schwarze Meer verbindet. Die Relevanz des Korridos wird weiter zunehmen, sobald die EU ihre Prioritäten festlegt und die Entwicklung einer alternativen Route nach Westchina fördert.

Der Iran hat die Hoffnung nicht aufgegeben, sein Eisenbahnsystem zu modernisieren und auszubauen, um die kaspischen Staaten Aserbaidschan, Russland und Turkmenistan anzuschließen und das Nord-Süd-Verkehrskorridor-Projekt umzusetzen. Wie beurteilen Sie die Erfolgschancen unter Berücksichtigung der US-Sanktionen gegen den Iran, zumal Siemens und die Schweizer Stadler Rail AG bereits angekündigt haben, den iranischen Markt zu verlassen?

Teherans internationale Isolation und neue Sanktionen von Seiten der USA verringern nun die Attraktivität des Korridors für europäische und indische Spediteure und europäische Unternehmen wie Siemens, was die notwendige Modernisierung des iranischen Eisenbahnsystems negativ beeinflusst. Dieser Korridor ist jedoch auf lange Sicht von großem Interesse, da er der kürzeste Weg vom Iran nach Europa ist. Dieser Korridor verbindet Europa und Russland über den Iran mit Indien und Südostasien. In den nächsten zwei Jahrzehnten werden beide Regionen zu wichtigen wirtschaftlichen und industriellen Antriebsmotoren in Asien. Darüber hinaus sollte man bedenken, dass regionale Lieferketten, innerregionale Verbindungen zwischen Indien, Bangladesch und Pakistan sowie zwischen Pakistan und Afghanistan trotz politischer und wirtschaftlicher Instabilität und Sicherheitsbedrohungen zunehmen. Diese Verbindungen werden auch auf Zentralasien und Iran ausgeweitet werden.

Darüber hinaus ist der Iran sowohl ein Wettbewerber als auch ein Partner des Kaukasus. Chinesische Unternehmen sind an einer transiranischen Route in die Türkei und in den Nahen Osten interessiert, während das Nord-Süd-Projekt, zu dem auch Aserbaidschan gehört, von einem funktionierenden und gut ausgebauten iranischen Eisenbahnsystem abhängt. Wenn die Sanktionen gegen den Iran wieder aufgehoben werden oder die Europäer und Inder sie umgehen, muss Baku bereit sein, die Wettbewerbsfähigkeit der westlichen kaspischen Nord-Süd-Route gegenüber der Ostroute durch Turkmenistan und Kasachstan zu steigern. Die direkte Eisenbahnlinie zwischen Gorgan, Mashhad und dem von Indien finanzierten Hafen von Chabahar verschafft dem Iran einen deutlichen Vorteil.

Die kaspische Region kündigte ein weiteres Transportprojekt an – den Internationalen Transportkorridor Kaspisches Meer – Schwarzes Meer (BSCS). Wie relevant ist dies angesichts der Tatsache, dass es Lapis-Lazuli-Korridor kopiert und der internationale Trans-Kaspische Transportkorridor in der Regel in Chinas One-Belt-One-Road integrierbar ist?

Turkmenistan, Rumänien, Aserbaidschan und Georgien haben vor einigen Tagen den Internationalen Transportkorridor Kaspisches Meer – Schwarzes Meer (BSCS) eingerichtet, der zwischen dem Hafen des Kaspischen Meeres in Turkmenbaschi und Constanta an der rumänischen Schwarzmeerküste verläuft. Der BSCS ist kein völlig neues Projekt, faktisch existiert es bereits und grenzt an den transkaspischen Korridor und den Lapislazuli-Korridor an. Diese neue Initiative kann jedoch die beiden anderen ergänzen, da sie darauf abzielt, die koordinierte Planung und Entwicklung des kritischen Abschnitts der beiden anderen Korridore zu verbessern.

Der transkaspische Korridor umfasst die Schaffung eines intermodalen Korridors, der Westchina über das Kaspische Meer, den Kaukasus und das Schwarze Meer mit Osteuropa verbindet, während Lapislazuli Europa und Indien über Turkmenistan und Afghanistan verbinden soll. Für beide ist jedoch eine ausreichende Infrastruktur und ein abgestimmter Zoll sowie eine Koordinierung und Harmonisierung der Tarife und der Logistik erforderlich, um das Potenzial, insbesondere in der Schwarzmeer-Kaspischen Region, auszuschöpfen. Die Koordinierung und Harmonisierung der Entwicklung von Infrastruktur, Logistik, Zoll und Zöllen in den Häfen von Rumänien, Georgien, Aserbaidschan und Turkmenistan ist notwendig. In diesem Sinne könnte die Initiative zur Harmonisierung des Transports zwischen dem Hafen von Turkmenbaschi, dem Hafen von Alat, dem Tiefseehafen von Anaklia,  der in Georgien geplant wird, und dem Hafen von Constanta zur Optimierung des Trans-Kaspischen Korridors und des Lapislazuli-Korridors beitragen. Um die Auswirkungen dieser Initiative bewerten zu können, ist es jedoch äußerst wichtig, die Rolle des Containertransits von China und Indien nach Europa oder der Hauptexporte aus Turkmenistan und Aserbaidschan nach Europa zu prüfen. Es soll auf einen nachhaltigen wirtschaftlichen Korridor hingearbeitet werden, um die Integration des Kaukasus und Zentralasiens in regionale und globale Lieferketten zu fördern.

Die Europäische Union hat traditionell kaspische Energiereserven gekauft. Wird eine umfassende Struktur der Energieversorgungswege in die Region sowie eine Verbindung zwischen den Energiesystemen Europas und den Hauptversorgern in Zentralasien, dem Nahen Osten und Nordafrika für die EU weiterhin Priorität haben?

Die EU ist sehr daran interessiert, Versorgungswege, Lieferanten und Energiequellen zu diversifizieren. In diesem Sinne hat die Europäische Union in den letzten Jahren viel getan, indem sie ihre LNG-Kapazität in Häfen erhöht und neue Pipelines nach Nordafrika gebaut hat, während die Importe aus Russland stabil blieben. Gas wird in der zukünftigen EU-Strategie eine entscheidende Rolle spielen, da die Nachfrage in den kommenden Jahren steigen wird. LNG aus den USA, Nordafrika und dem Nahen Osten sowie Russlands Pipeline-Gas werden eine ausgewogene Kombination schaffen. Nachfolgende Lieferungen aus Zentralasien und dem Kaukasus werden zur weiteren Diversifizierung beitragen.

Dem südlichen Gaskorridor wird viel Aufmerksamkeit gewidmet. Die Strecke wurde bereits teilweise in Betrieb genommen, zwei wichtige Verbindungen fehlen jedoch noch: der italienische Abschnitt der Trans Adriatic Pipeline (TAP) und die Trans-Caspian-Pipeline mit Turkmenistan. Mit der Unterzeichnung der Konvention über das Kaspische Meer wurde ein großer Schritt in Richtung Umsetzung dieses letzten Abschnitts unternommen. Es gibt jedoch immer noch rechtliche und politische Hindernisse, die überwunden werden müssen. Turkmenistans Verpflichtungen gegenüber China erschweren die Situation ebenfalls.

Die Umsetzung des Projekts „Südlicher Gaskorridor“ wird das Gleichgewicht zwischen den Hauptlieferanten der EU, einschließlich Russland, jedoch nicht wesentlich verändern. Sie wird jedoch zweifellos zusätzliche Möglichkeiten zur Diversifizierung der Energieimporte für Europa bieten.

Austauschgespräch mit Georgia’s Reform Associates

Vom 25. Februar bis 1. März 2019 besuchte eine Delegation des georgischen Think Tanks GRASS (Georgia’s Reform Associates) das Berlin Policy Hub Team am IEP. GRASS ist ein unabhängiger Think-Tank mit Sitz in Tbilisi, zu dessen Schwerpunktaktivitäten Erasmus+/Jean-Monnet-Programme zur Aufklärung über Funktionsweise und Ziele der EU in verschiedenen Regionen Georgiens zählen sowie ein „Fact-Check“ von Aussagen georgischer PolitikerInnen, zur Verbesserung der Qualität des politischen Diskurses.

Paata Gaprindashvili, Direktor, Mariam Tsitsikashvili und Gogi Zoidze, wissenschaftliche MitarbeiterInnen, sowie Vakhtang Charaia, Gastwissenschaftler bei GRASS, hatten ihm Rahmen ihres Besuchs die Gelegenheit, sich mit VertreterInnen von Caucasus Watch und dem Berlin Center for Caspian and Eurasian Studies, sowie mit MitarbeiterInnen von Democracy Reporting International (DRI) und dem Zentrum für Osteuropa und internationale Studien (ZOiS) auszutauschen.

Quelle: http://iep-berlin.de/blog/georgias-reform-policyhub/